DJ Studie: Deutsche vertrauen bei Hauskauf nicht auf Hilfe des Staats
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Neigung der europäischen Völker, Immobilien zu erwerben, ist recht unterschiedlich ausgeprägt. Gegenpole scheinen Deutsche und Italiener zu sein: Hier geringer Immobilienbesitz (42 Prozent) und hohe Liquiditätspräferenz, dort hoher Immobilienbesitz (70 Prozent) und wenig Liquidität. Zwei deutsche Ökonomen erforschen eine neue Erklärung für dieses Phänomen: Es ist das in Deutschland vergleichsweise geringe Vertrauen der Bürger in die Hilfsbereitschaft des Staates. Das dafür vorhandene höhere Vertrauen in private Netzwerke kann diesen Effekt offenbar nicht ausgleichen.
Johannes Fleck und Adrian Monninger haben für ihr Forschungsprojekt "Culture and portfolios: trust, precautionary savings and home ownership" Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) und der European Value Study ausgewertet und sind dabei auf folgende Zusammenhänge gestoßen: Wenn das Vertrauen in öffentliche Institutionen wie beispielsweise Arbeitslosen- und Krankenversicherung um 1 Prozent steigt, nimmt das liquide Vermögen um 3,4 Prozent ab. Wenn das Vertrauen in andere Menschen um 1 Prozent steigt, nimmt das liquide Vermögen um 2,6 Prozent zu.
Das heißt zum einen: Glaube ich an zeitnahe und ausreichende finanzielle Hilfe des Staates, halte ich weniger Vorsichtskasse und traue mich, einen Hypothekenkredit aufzunehmen. Vertrauen die Italiener ihrer Regierung also mehr als die Deutschen? Tatsächlich schätzen die Italiener die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen der Staat im Falle wirtschaftlicher Probleme zu Hilfe eilt, etwas höher ein als die Deutschen. Ihr Vertrauen ist zwar bei weitem nicht so hoch wie das der Franzosen, Spanier oder Belgier, aber Deutschland liegt in dieser Hinsicht vor der Ukraine und einigen Balkanstaaten auf einem hinteren Platz.
"Das Vertrauen der Italiener in ihre Institutionen ist höher als das Vertrauen der Deutschen in ihre Institutionen, obwohl das nach den objektiven Kennziffern umgekehrt sein müsste", sagt Johannes Fleck. Er findet das erstaunlich, "weil in Italien staatliche Unterstützung bei Verlust von Arbeit und Einkommen weniger großzügig und ihre Beantragung aufwändiger ist als in Deutschland."
Kann also vielleicht die subjektive Wahrnehmung der Menschen eher erklären, warum der Immobilienbesitz so unterschiedlich ist? Zu berücksichtigen ist allerdings unter anderem auch, dass die Immobilienbesitzquote in Italien traditionell hoch ist. Viele Italiener müssen eine Immobilie also gar nicht finanzieren, sie erben sie einfach.
Wie sieht es mit dem Vertrauen in andere Menschen, das soziale Netzwerk, aus? Glaube ich an die Hilfe dieses Netzwerks, führt das laut Fleck und Monninger jedoch nicht zu weniger, sondern mehr Vorsichtskasse. Der Grund ist: Einem sozialen Netzwerk vertrauen die Menschen nicht nur, sie fühlen sich ihm auch verpflichtet und halten für den Fall der Fälle Liquidität vor. "Im Durchschnitt aller untersuchten Länder wiegt der zweite Effekt schwerer", sagt Fleck.
Den Nettoeffekt des sozialen Netzwerks können die Forscher allerdings aufgrund der geringen Stichprobengröße ihres Datensatzes nicht in einzelnen Ländern untersuchen. Aus ihrem Papier geht lediglich hervor, dass das Vertrauen in soziale Netzwerke in Deutschland (wie in allen überwiegend nicht-katholischen Ländern) überdurchschnittlich ist. In Italien ist es dagegen unterdurchschnittlich.
"In den letzten Jahren haben die nationalen Behörden der Eurozone in Zusammenarbeit mit der EZB Qualität und Vergleichbarkeit von Haushaltsdaten zu Spar- und Anlageentscheidungen verbessert", so Fleck. "Trotzdem würden weitere Fortschritte noch gründlichere Untersuchungen ermöglichen, zum Beispiel bezüglich der Wirkung von geldpolitischen und fiskalischen Maßnahmen auf die finanzielle Situation der Haushalte in der Eurozone."
Johannes Fleck und Adrian Monninger arbeiten bereits an einer Folgestudie. Neben subjektiven Vertrauensunterschieden beeinflussen auch andere Faktoren das individuelle Anlageverhalten. Daher wollen die beiden Forscher die relative Wichtigkeit jedes einzelnen dieser Faktoren in ihrem Zusammenspiel untersuchen.
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August 25, 2020 03:42 ET (07:42 GMT)
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